Ein Standpunkt von Michael Stüve

Bruttogeschossfläche, umbauter Raum, Achsmaß – das ist das Handwerkszeug des Architekten. Aber wann geht es um die Nutzer:innen dieses umbauten Raumes? Viel zu selten! In den vergangenen Tagen bin ich mehrfach über Kolleg:innen geradezu gestolpert, denen stumpfe Zahlen viel wichtiger waren, als die Bedürfnisse der Nutzer:innen. Das ist Planung am Reißbrett, wie auch ich sie einmal gelernt habe. Aber muss gute Planung nicht immer auch begeistern?

Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft. Das gibt es im Lehrplan der Architekten gar nicht. Ich habe mir deshalb tatsächlich einmal die Mühe gemacht, die aktuellen Studienordnungen einiger Architektur-Fakultäten querzulesen. Nutzer:innen kommen im Bachelor-Studium zum Beispiel an der TU München gar nicht vor. Und das ist kein Einzelfall. Da geht es um konstruktives Entwerfen, um Statik und Tragkonstruktionen. Nur in einem freiwilligen Wahlmodul wird in München eine Veranstaltung „Architekturkommunikation“ angeboten. Aber ich befürchte, da geht es dann nicht um die Kommunikation zwischen Architekt:in, Bauherr:in oder Nutzer:in, sondern um das erfolgreiche und möglichst widerstandsfreie Vermitteln der eigenen schöpferischen Leistung.

Vergisst die Architektur ihre Nutzer? Verkommt Architektur zur schöngeistigen Gestaltung oder zur nackten, zahlengetriebenen Flächen- und Raum-Optimierung? Beides wäre aus meiner Sicht eine Bankrotterklärung. Die Nutzer:innen müssen bei jeder Planung im Mittelpunkt stehen. Natürlich kann die Individualität eines frei geplanten Einfamilienhauses nicht in den Gewerbe- oder Bürobau übertragen werden. Solche Bauwerke müssen flexibler nutzbar, leichter erweiterbar und besser auf die Zukunft ausgerichtet sein. Aber immer geht es doch um die Nutzer:innen, die Bewohner:innen, die Mitarbeiter:innen, die in diesen Flächen leben und arbeiten sollen. Für sie ist die Immobilie gedacht, geplant und gemacht.

Nicht selten werden wir von den Architektur- und Bau-Kolleg:innen skeptisch angeschaut, wenn unsere „Grundlagenermittlung“ – die erste Phase der HOAI – viel umfangreicher und analytischer ausfällt. Es geht für uns um weit mehr als nur um Flächen- und Raummaße, um nackte Zahlen. Es geht darum, herauszufinden, was die Nutzer:innen von ihrer Arbeitswelt erwarten, wie Prozesse organisiert sind, wie Kommunikation, Kollaboration und Konzentration gewollt sind und gelebt werden. Es geht darum, gemeinsam mit den Nutzer:innen eine optimale Flächennutzung zu erarbeiten. Diese ist der sprichwörtliche Grundstein einer ganzheitlichen, visionären und wertschätzenden Planung. Dass die natürlich wirtschaftlich ist und sich bei Bau und Betrieb rechnet, ist für mich selbstverständlich.

Welche Rolle spielen die Nutzer:innen in Ihrer Arbeitswelt? Ich bin neugierig; liege ich richtig mit meiner Idee des „Human Centered Design“, mit meiner Überzeugung, dass gute Planung Nutzer:innen begeistern soll?

Herzlichst

Ihr
Michael Stüve