Die Zukunft hat längst begonnen
Arbeit ändert sich. Industrielle Massenproduktion, Taktung und Fremdbestimmung war früher. Heute rufen alle – Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – nach mehr Freiheit, nach mehr Verantwortung. New Work. Agilität. Selbstorganisation. Das ist das, was in der Zukunft zählt. Und das, was die immense Fachkräfteknappheit bekämpfen helfen soll. Doch agiles Arbeiten lässt sich nicht anordnen. Agiles Arbeiten stellt das Gewohnte auf den Kopf, verlangt neue Führung und andere Arbeitswelten. Ein ganzheitlicher Ansatz, der viele Chancen bietet.
Es geht um ein neues Selbstverständnis der Arbeit, um mehr Freiheit für den Einzelnen. Damit aber natürlich auch um mehr Verantwortung
Sandra Stüve
Dass Arbeit Sinn stiften soll ist seit dem Abschlussbericht des World Economic Forum 2012 Thema. Vordenker wie Frederic Laloux sehen Sinn als ein zentrales Gestaltungselement für Selbstorganisation und agile Steuerung. Mitarbeiter organisieren den Ausgleich zwischen Me-Time und Work-Time selbst, sie gehen in sinnstiftender Arbeit auf. Das mag für manche Führungskraft einer kundengetriebenen Serviceeinheit nach ferner Utopie klingen. Aber es beschreibt einen grundlegenden Wandel der Arbeitswelt: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wählen solche Unternehmen für ihre Work-Time, die Freiheiten bieten. Wer in der tayloristischen Arbeitsorganisation des 19. und 20. Jahrhunderts stecken bleibt, wird schon mittelfristig als Arbeitgeber (!) auf dem Arbeitsmarkt chancenlos sein. Nachdem der Kundenservice trotz Automatisierung, künstlicher Intelligenz und detaillierter Prozessoptimierung hin zur Service-Vermeidung aber auch in der Zukunft ein „People-Business“ bleiben wird, ist es an der Zeit, die eigene Organisation umzukrempeln. Und zwar: radikal!
Agilität ist keine Theorie
Zwei Beispiele, die unterschiedlicher nicht sein können, zeigen anschaulich, dass agiles Arbeiten längst nicht mehr nur die Arbeitsform von Start-ups ist.
Der 1811 gegründete Konzern Versicherungskammer ist alles andere als ein junges Unternehmen und setzt doch auf eine neue Form von Arbeit und Organisation. Den entscheidenden Impuls für ein Redesign-Projekt des Servicecenters gab die Aufgabe, Arbeit und Arbeitswelt grundsätzlich neu zu denken. Der Kundenservice sollte fit für die kommenden Herausforderungen gemacht werden, agile Arbeitsweisen sollten Einzug halten in den Arbeitsalltag. Im Zuge dessen wurden die großen strategischen Herausforderungen der Organisation und ihrer Arbeitswelt in den Blick genommen. Gemeinsam mit HCD entwickelte das Team der Versicherungskammer Szenarien für den Kundenservice der Zukunft. Heute gehören „Daily Stand-ups“ – also kurze Meetings, die der Projektsteuerungsmethode SCRUM entlehnt sind und der Synchronisierung der Tätigkeiten aller Teammitglieder dienen – zum Arbeitsalltag fest dazu.
Die von HCD geplante und realisierte agile Arbeitswelt definiert die Zusammenarbeit der Teamleiter und der Teams völlig neu. Waren die Teamleiter früher am Rande der Fläche angesiedelt, steuern sie heute die Arbeit der Teams aus der Mitte des Raumes heraus. Sie sind jederzeit ansprechbar und können Rückfragen schnell beantworten. Die kommunikative und gleichzeitig strukturschaffende Gliederung der Arbeitswelt unterstützt diese neue Agilität. Die Wegeführung im Raum sorgt zugleich für mehr Ruhe an den Arbeitsplätzen.
Und die Arbeitswelt leistet noch mehr. Sie war für die Mitarbeiter ein sichtbarer Startpunkt einer neuen Arbeitsweise. Die Organisation hat sich gemeinsam auf den Weg gemacht, hat den Mitarbeitern mit dem Redesign eine optimale Grundlage für den Erfolg in der Work-Time geschaffen. Und: Mit dem Start hat die Versicherungskammer auch mobiles Arbeiten eingeführt. Das passt in das Zielbild einer agilen Organisation, ist eine der Antworten auf den Wandel der Arbeitswelt und erleichtert jedem einzelnen die Verbindung von Me-Time und Work-Time.
Kreativ- und Kommunikationszonen prägen neben Flexibilität und flachen Hierarchien auch die Dialogagentur gkk: Sichtbar wird die agile Organisation im jüngst bezogenen Neubau in Frankfurt, bei dessen Planung auf kurze Wege und viel Flexibilität geachtet wurde – und keine Vorzimmer geplant wurden. Ein bunt gestaltetes, weites und zum informellen Treffen einladendes Treppenhaus bringt nicht nur mehr Bewegung in den Arbeitsalltag, sondern ist von der schieren Nutzfläche zum kommunikativen Verbindungselement zwischen Stockwerken und Menschen geworden. Der wirtschaftliche Nebeneffekt: Das Treppenhaus ist keine tote Zone mehr, sondern aktiver Bestandteil der Flächennutzungsplanung.
Ein weiteres Plus: Die hohe Flexibilität der geplanten Arbeitsplätze unterstützt das Onboarding neuer Projekte. Mussten früher regelmäßig Umzüge im Gebäude organisiert, Mobiliar transportiert und Arbeitsplätze eingerichtet werden, sind heute überall perfekt ausgestattete Arbeitsplätze vorhanden, die einen sofortigen Start ermöglichen. Wenn Teams dann schnell von zehn auf 30 Mitarbeiter wachsen, ist das ebenfalls ohne neue Rüstzeiten möglich.
Agilität braucht Freiheit
Die Beispiele beschreiben, was sichtbar ist. Die veränderte Arbeitswelt ist Ausdruck und Grundlage einer agilen Steuerung zugleich. Doch die Freiheit des Einzelnen ist der eigentliche Kern agiler Arbeit. Der Schlüssel zur Agilität einer Organisation greift in das Selbstverständnis der Arbeit ein. Jetzt wird es anspruchsvoll:
- Kleine, cross-funktionale Teams organisieren sich selbst.
- Die Arbeit folgt dem Pull-Prinzip – ohne Fremdvorgaben und Fremdkontrolle.
Wer seit vielen Jahren Verantwortung für ein Servicecenter trägt, wird beim Punkt eins nach kurzem Überlegen einen Haken hinter die Aussage machen. Kleine Teams, die ein Kundenanliegen vielleicht sogar im Zusammenspiel mit Automatisierungslösungen, Wissensdatenbanken oder Bots erledigen und mit dem Zugriff auf klassische Backoffice-Funktionen einen schnellen Fallabschluss erlauben, leuchten ein. Doch das Pull-Prinzip und die Aufgabe von Hierarchie? Die Abkehr von Hierarchien ist im Servicecenter gar nicht so abwegig: Die Konzentration auf Funktionen und cross-funktionales Arbeiten würden zum Beispiel erlauben, dass der Planer keine Stabsfunktion der Center-Leitung ist, sondern das Team – vielleicht sogar rollierend – die Planung selbst erledigt. Die vier wichtigsten Punkte sind:
- Teams sind künftig interdisziplinär und organisieren sich selbst.
- Teams arbeiten autonom und kontrollieren sich selbst.
- Teams und jeder einzelne Mitarbeiter werden über Ziele geführt.
- Teams sind verantwortlich für den Fallabschluss – das Endergebnis.
Dabei ist Führung nicht länger ein Privileg oder geborene Aufgabe von Höhergestellten, sondern die einmalige oder regelmäßige Aufgabe von Teammitgliedern analog zu ihren Skills. Bei dieser kollegialen Führung geht es um die Disposition von Kompetenzen im Team, nicht mehr um „unten“ und „oben“. Voraussetzung dafür sind Mitarbeiter, die sowohl Generalisten- als auch Spezialisten-Wissen mitbringen. Man spricht von T-förmiger Qualifikation.
Vom a-sozialen Einzelgänger zum pro-sozialen Teamplayer
Die Zeiten tayloristischer Ausführungsautomaten im Kundenservice sind vorbei. Auch Leitfäden oder die irreführende Führung über Mikrokennzahlen wie die durchschnittliche Gesprächsdauer sind damit Geschichte. Kreativitätszuwächse und Innovationsschübe entstehen innerhalb der Teams. Denn die gemeinsame Verantwortung für ein nachvollziehbares Ziel stiftet Sinn – für die Gemeinschaft und jedes ihrer Mitglieder. Die Arbeitssituation verändert sich vom a-sozialen Einzelgänger mit engem Führungskorsett hin zu einer pro-sozialen Situation mit Vertrauen, konstruktivem Feedback und einer offenen Fehlerkultur.
Freiheit braucht agile Arbeitswelten
Für diese Welt sind die meisten Arbeitswelten, in denen dialogstarke Teams seit der Mitte der 1980er-Jahre arbeiten, nicht gemacht. Wenn die Führungskraft abgehoben mehrere Stockwerke über den Teams thront, wenn der Teamleiter entfernt in einem gläsernen Kasten auf Zahlenwerke starrt, wenn Führung Formalismen folgt – dann muss zunächst an diesen Strukturen gearbeitet werden. Denn Agilität beginnt in den Köpfen der Führungskräfte, sie greift ein in die DNA der Organisation.
Und dann muss die sprichwörtlich zementierte Struktur des alten Unternehmens behutsam aufgebrochen und in eine Arbeitswelt für die Zukunft überführt werden. Ein konkretes Beispiel: Wo sitzt der Teamleiter in der Zukunft? Im rollierenden cross-funktionalen Modell ist der Teamleiter Teamleiter auf Zeit. Er ist Teil des Teams, Teil der Gemeinschaft und hat seinen Platz folgerichtig in der Mitte seiner Kolleginnen und Kollegen. Oder gibt es ihn überhaupt noch?
Für die Selbstorganisation eines Teams braucht es Kommunikationsräume: Stand-up Meetings sind meist auf 15 Minuten limitiert und werden im Stehen durchgeführt – ein Besprechungsraum ist die falsche Kulisse dafür. Kommunikationszonen mit Visualisierungsmöglichkeiten müssen dafür vielmehr in direkter Nähe zu den Arbeitsplätzen entstehen.
Ein Grundprinzip der Agilität ist auch, dass Kunden aktiv in die Weiterentwicklung des Service oder in die Entwicklung von Dienstleistungsinnovationen einbezogen werden. Das führt nicht nur unmittelbar zu mehr Kundennähe des Service, sondern braucht auch Kreativzonen, in denen gemeinsam mit Kundengruppen ganz praktisch gearbeitet werden kann. Solche Bereiche müssen die Servicefähigkeiten genauso transparent transportieren wie sie Anforderungen an Datenschutz genügen müssen: Schließlich soll der Kunde den Service verstehen und erleben, ohne mit personenbezogenen Daten in Kontakt zu kommen.
Organisieren sich Teams schnell, dynamisch und selbst, können Pop-up-Arbeitsplätze und freie Flächen zur flexiblen Nutzung hilfreich sein: Bei einer Service-Innovation oder einer Kampagne lassen sich so schnell kleine Arbeitswelten schaffen und ausrüsten, um innerhalb von Minuten neue Serviceangebote zu realisieren.
Agile Arbeitswelten brauchen Erfahrung – bei Prozessen, Architektur und IT
Doch alle diese Detailfragen sind ohne einen strukturierten, smarten Prozess nicht umfassend und zielführend zu lösen. Denn eines ist klar: IT-Gadgets allein machen keine agile Organisation. Nur Mensch, Arbeitswelt und Arbeitsplatz sowie Führung und Prozesse schaffen ineinandergreifend eine agile, zukunftsfähige Arbeitswelt. Diese Transformation braucht Erfahrung auf mehreren Gebieten, um zu gelingen.
Agilität beginnt in den Köpfen. Die agile Arbeitswelt schafft Voraussetzungen.
Michael Stüve
Startpunkt der Transformation einer Organisation ist der handelnde Mensch. Als Führungskraft oder Teammitglied. Gemeinsam müssen Prozesse der Zukunft definiert, Führungsmodelle ausgehandelt werden. Hier hilft es, wenn Erfahrung in der Service-Gestaltung, Wissen um agile Methoden und Führungserfahrung zusammenkommen. Wer die Transformation als Reise begreift, beginnt mit einer gemeinsamen Festlegung von Reiseziel und Reiseweg. Daran entlang gestaltet sich dann die detaillierte Routenplanung – inklusive der Planung und Umsetzung einer Arbeitswelt, die zu Menschen und Prozessen gleichermaßen gut passt. Agile Transformation braucht Erfahrung beim Management von Veränderungsprozessen.
Neben dem Einbinden der Menschen, die ihren eigenen Rahmen von Freiheit und Verantwortung mitbestimmen, liegt der Schlüssel zum Erfolg auch bei der präzisen und zukunftsfähigen Analyse von Service-Prozessen. Nur optimale Prozesse, die aus der Kunden- wie aus der Mitarbeiter-Sicht überzeugen, eignen sich als Grundlage, um Agilität zu leben. Agile Transformation braucht hohes Prozess-Know-how im Kundenservice.
Ist der Grad der agilen Organisation definiert, geht es um die Umsetzung. Architektur und Innenarchitektur bestimmen den künftigen Möglichkeitsraum der Mitarbeiter und Teams. Es gilt, der neuen Organisation den Raum zugeben, den sie benötigt. Das umfasst Expertise in allen Schritten von der Immobilien- und Standortwahl über Bauantrag, Baubegleitung, die fachliche Betreuung aller Gewerke inkl. des naturgemäß hohen Anteils an technischer Gebäudeausrüstung und IT-Infrastruktur bis zur Auswahl von Endgeräten, mit denen die Mitarbeiter arbeiten – in der Arbeitswelt, mobil am Standort oder auch im Home-Office. Agile Transformation braucht Planungs-, Bau- und IT-Expertise.
Ist die agile Organisation schließlich bauliche Wirklichkeit geworden, geht es wieder um den Menschen: Wer die agile Reise beginnt, muss in regelmäßigen Feedback-Schleifen im Sinne der agilen Steuerung Bestehendes auf den Prüfstand stellen und weiterentwickeln. HCD bringt diese Erfahrungen aus dem Management von Servicecentern, Architektur und Innenarchitektur sowie agiler Steuerung im „Smart Planning“ zusammen und schafft seit Jahrzehnten zukunftsfähige Arbeitswelten, die wertschätzend, wirtschaftlich und visionär gleichermaßen sind.